Nachwort
Die Geschichte des Kreuzstichs nachzuvollziehen hat sich als eine weit umfangreichere Arbeit herausgestellt, als ich zu Beginn gedacht hatte. Sie hätte sich auch noch viel umfangreicher gestalten lassen, wenn ich die Gelegenheit gehabt hätte, Stickereien persönlich anzusehen und Details in Augenschein zu nehmen oder auch mit Fachleuten ins Gespräch zu kommen. Aber auch ohne diese Möglichkeiten hat sich das Thema als vielfältiger erwiesen. Die Einordnung von Entwicklungen im Bereich der Stickerei in politische, soziale oder auch geistesgeschichtliche Entwicklungen förderte Aspekte zum Vorschein, die noch viel mehr Vertiefung verdient hätten als ich sie leisten konnte. Insofern bleibt er hier bei einem Überblick, der sehr viel Platz für weitere Details läßt. So wäre es aus meiner Sicht hat wünschenswert, Stickereien als solche, die Funktion von Stickereien und den gesellschaftlichen Zusammenhang, in dem sie entstanden sind, noch detaillierter zu untersuchen, ohne dabei offen oder versteckt einen feministischen Blickwinkel anzulegen. Ein wichtiger Aspekt wäre aus meiner Sicht auch zu untersuchen, welche Sticktechniken aus welchen Gründen zu bestimmten Zeiten populär waren oder nicht mehr gebraucht wurden. Letztlich bleibt es ja auch bezüglich des Kreuzstichs zumindest bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts im Bereich der Vermutungen, warum er zum überwiegend gebrauchten Stich wurde.
Natürlich fehlen auch genauere Untersuchungen zum Sticken und zum Sticken im Kreuzstich in der Gegenwart. Hier wären Untersuchungen, die sich auf Umfragen bzw. statistische Erhebungen beziehen, durchaus möglich. Ich möchte das an einem Beispiel erläutern: Aus meiner Sicht flaut die Beliebtheit des Stickens – zumindest unter den Amateuren – zur Zeit wieder ab, sichtbar an der Tatsache, dass die Zahl der neu auf den Markt kommenden deutschen Stickanleitungen und Leaflets langsam wieder abnimmt. Leider geben viele Leaflets und Stickmusterbücher nicht die Jahreszahl des Erscheinens an, so dass ich hier auf meine eigenen Beobachtungen zurückgreifen muss. Danach hat sich eine Designerfirma schon seit einigen Jahren mehr darauf verlegt, Nähanleitungen und Bastelanleitungen zu veröffentlichen und die Zahl sowie den Umfang von Vorlagen für Handstickereien erheblich zu reduzieren. Eine andere Designerin nimmt fast völlig Abschied von der Herstellung von Stickmustervorlagen und gibt nur noch sehr gelegentlich eine Einzelvorlage heraus. Bei anderen Designerfirmen hat die Zahl der Veröffentlichungen pro Jahr sehr abgenommen. In vielen Fällen mögen Altersgründe – Eintritt in den Ruhestand – ursächlich sein. Andererseits gibt es in den letzten drei bis vier Jahren den Trend, Stickbücher als eine Reihe zu produzieren, d.h. es werden Muster für Stickbilder im selben Format für die vier Jahreszeiten in vier Bänden herausgegeben, jeweils ergänzt um kleinformatige Muster, die zur jeweiligen Jahreszeit passen. Leaflets folgen diesem Konzept; es gibt sie aber auch mit Monatsmustern. Man kann argumentieren, dass die Nachfrage nach Stickmustern und damit auch die Stickbegeisterung so sehr zugenommen hat, dass sich diese relativ schnell aufeinander folgenden Veröffentlichungen kommerziell lohnen. Eine andere Sichtweise wäre, dass diese Vorgehensweise zum Ziel hat, das Interesse an Stickmustern und damit an Stickerei aufrecht zu erhalten, indem man den Wunsch weckt, ein für jede Jahreszeit passendes Bild anfertigen und aufhängen zu können. Es gibt sicherlich noch weitere Erklärungsversuche. Interviews, Umfragen und Zahlen würden geeignet sein, zu klären, ob die vorgenannten subjektiven Eindrücke einer objektiven Überprüfung standhalten. Sie wären auch erhellend für die Behauptung, dass der Kreuzstich DIE Sticktechnik überhaupt ist. Mit anderen Methoden als den vorgenannten könnte man auch untersuchen, ob die krisenhaften Entwicklungen der Gegenwart weiter zu einer Konzentration auf ein „häusliches“ Hobby führt, wie es z.B. im Biedermeier der Fall war, oder ob sich die Stickerei so wandelt, dass sie als Ausdrucksform politischer Haltungen in die Öffentlichkeit drängt.
Es gibt also sehr viele Aspekte, die weit über die Geschichte einer einzelnen Sticktechnik hinausgehen und doch mit dieser in Zusammenhang stehen.
Ich hoffe, das die Lektüre dieser Arbeit nicht nur Spaß gemacht hat, sondern auch zum Wissen um die Geschichte des Stickens und des Stickens im Kreuzstich beigetragen hat. Für Hinweise auf Übersehenes oder Hinweise auf Irrtümer bin ich stets dankbar.