|
|
Produzenten von Stickereien und ihre Organisation im
Mittelalter |
|
|
|
„Die Tätigkeit
des Stickens wurde im Mittelalter und der frühen Neuzeit […] als
von Beginn der Menschheit an genuin weibliches Sujet betrachtet,
[…]denn bis ins Hochmittelalter rechnete man das Sticken wie
allgemein die Herstellung von Textilien, die zunächst vor allem
für den Eigenbedarf produziert wurden, grundsätzlich zur
Frauenarbeit.“[i]
heißt es bei Christiane Bergemann, während Ruth Grönwoldt die
Auffassung, ausschließlich Frauen hätten Stickereien
angefertigt, auf die „nicht professionelle Stickerei“[ii]
eingrenzt. Demgegenüber ist Katrin Kania der Meinung, dass,
„wenn sich auf der Mehrzahl der Bilder Frauen bei
textilen Tätigkeiten und Männer meist in anderen Tätigkeiten
finden lassen, […] dies nicht zwingend bedeuten [muss], dass
Textilherstellung im Mittelalter gemeinhin als Frauensache
betrachtet wurde.“[iii]
|
|
|
Wie ist nun also
die Rollenverteilung zwischen Frauen und Männern bei der
Herstellung von Stickereien? Änderte sie sich im Laufe von
immerhin fünf Jahrhunderten? Wenn ja, welche Faktoren führten zu
einer Veränderung der Rollenverteilung?
|
|
|
Die von Bergemann
vertretene Auffassung wird von Valentina S. Grub als ein
Stereotyp gesehen, dass „erroneously, if romantically, by
Victorian medievalists“[iv]
geschaffen wurde. Auch Alexandra Gajewskia/Stefanie Seeberg
meinen, dass dieses Stereotyp einer genaueren Untersuchung
bedürfe und dass zwischen Frauen verschiedener sozialer
Schichten unterschieden werden müsse[v].
Für adlige Frauen halten sie fest, dass diese Herstellerinnen,
Stifterinnen, Auftraggeberinnen als auch Abnehmerinnen von
Textilkunst gewesen seien[vi].
Heidrich grenzt die Beschränkung von Textilarbeiten auf Frauen
auf das frühe Mittelalter ein, wobei die Frauen auf einzelne
Arbeiten spezialisiert gewesen seien. Sie beruft sich auf
Urbare, Urkunden und sonstige schriftliche Quellen des
Frühmittelalters[vii].
|
|
|
Hinsichtlich des
Frühmittelalters scheint sich die Meinung Heidrichs zu
bestätigen. Wie vorher schon erwähnt, ist die Stickerei auf dem
Gewand der Bathilde, das auf die Zeit um 680 datiert wird, wohl
von Bathilde selbst in Auftrag gegeben und von englischen
Frauen, die sie an ihrem Hof versammelte, hergestellt worden[viii].
Auch die bereits oben schon
vorgestellten sogenannten „Maaseik Embroideries“ sollen
namentlich bekannten Frauen zuzuordnen sein, nämlich der
heiligen Relindis (+ 750), einer Tochter des fränkischen Grafen
Adelard. Nach dem Tode ihrer Schwester Harlindis im Jahr 745,
die die erste Äbtissin des von ihrem Vater gestifteten Klosters
war, folgte Relindis als Äbtissin.
Relindis soll der zwischen 855 und 881 entstandenen Vita
zufolge die Stickereien hergestellt haben, während neuere
Untersuchungen die Entstehung in das 9. Jahrhundert legen.[ix]
Durch die Inschrift auf einer
zu den Schenkungen gehörenden Manipel belegt ist auch die
Tatsache, dass Königin Ethelfleda (+um 870, +918) bestickte
Textilien als Geschenk für den Bischof Friedestan von Winchester
in Auftrag gegeben hat.[x]
Belegt ist auch die Anfertigung eines Hungertuches durch
Richlin, Schwester des Abtes Hartmut von St. Gallen, vor 883.[xi]
Weiter oben wurde auch bereits die sog. Kriegsfahne der Gerberga
erwähnt, deren Inschrift „Gerberga me fecit“ die Stickerin
eindeutig benennt und deutlich macht, dass es ihr wichtig war,
sich als die Stifterin und auch Produzentin zu identifizieren.
Als Schwester Kaiser Otto I. und Königin von Lotharingen fertigt
sie eine Stickerei mit politischer Botschaft an, die das reale
zeitgenössische Ereignis zum einen beglaubigt und durch die
Darstellung Christus´ als Sieger geleichzeitig überhöht, so dass
potentiellen Gegner gleich der Wind aus den Segeln genommen
wird.[xii]
|
|
|
Alle hier
genannten bestickten Textilien sind von adligen Frauen in
Auftrag gegeben und/oder von ihnen selbst hergestellt worden.
Drei haben eine eindeutig sakrale Verwendung, während das Hemd
der Bathilde und die Kriegsfahne der Gerberga als politische
Botschaften interpretiert werden können. In diesen Zusammenhang
kann auch die Bezeugung der Eroberung Englands durch die
Darstellung auf dem Teppich von Bayeux gesetzt werden. Sowohl
Bathilde als auch Gerberga benutzen das Medium der Stickerei, um
ihren Einfluss geltend zu machen und ihre persönliche wie auch
politische Position zu demonstrieren.
|
Auch für das
Hochmittelalter sind Frauen namentlich mit Stickereien in
Verbindung zu bringen, entweder als Stifter oder als
Produzenten. Überliefert ist, dass Edith, die Frau Edwards des
Bekenners (1042-1066 König von England) den Krönungsmantel ihres
Mannes bestickt haben soll. Auch Margareta, Ehefrau des
schottischen Königs Malcolm III. (1058-1093 Regierungszeit), ist
in schriftlichen Quellen als Stickerin liturgischer Gewänder
erwähnt.[xiii]
Überliefert ist auch, dass Adelheid von Gammertingen dem Kloster
Zwiefalten in der 1. Hälfte des 12. Jahrhunderts zwei
Fastentücher schenkte, die sie selbst hergestellt hatte.[xiv]
Zwischen 1272 und 1294 ist die sogenannte Care Chasuble
entstanden, benannt nach Margaret de Clare, Herzogin von
Cornwall.[xv]
Gertrud, Tochter der (heiligen) Elisabeth von Thüringen, ließ
zwei Altartücher für das Kloster Altenberg a.d. Lahn anfertigen.
Sie lebte von 1229 bis 1297 in diesem Kloster[xvi].
Seit sie 1248 Äbtissin wurde, bemühte sie sich, das Leben ihrer
Mutter zu verherrlichen, wozu sie auch eine Stickerei, die
Szenen aus dem Leben ihrer Mutter zeigte, anfertigen ließ.[xvii]
|
|
|

Eine Frau erstellt ein Stickmuster durch
direktes Bemalen des Stickgrundes, eingespannt in einen rechteckigen
Rahmen. Szene aus dem sogenannten Psalter der Queen Mary, entstanden ca.
1310-1320 |

Maria arbeitet an einer in einen Rahmen
eingespannten Stickerei. Szene aus dem Klosterneuburger Evangeliar
(Österreich), entstanden um 1340, folio 25v
|
|
|
Zahlreich sind
auch die Belege für die Herstellung von Stickereien in
Frauenklöstern, wobei allerdings die Namen der stickenden Nonnen
überwiegend nicht genannt wurden, wohl aber – wie im Fall des
Klosters Heiningen – die Namen der Klosterstifter, was
möglicherweise auf den Einfluss der Visitatoren, die dem auf
Einfachheit und Askese bestehendem Zisterzienserorden
angehörten, zurückführen kann.[xviii]
Die Stickereien sollten den Namen der Nonnen, die sie
hergestellt hatten, nicht nennen, weil solche Kunstwerke nicht
dem persönlichen Ruhm der Stickerinnen, sondern ausschließlich
zur Ehre Gottes dienen sollten[xix].
1240 hatte z.B. eine Visitation
im Kloster Lüne stattgefunden, bei der den Nonnen ausdrücklich
Textilarbeiten als Tätigkeit empfohlen wurden[xx],
zumal man glaubte, dass „die Handarbeit in der religiösen
Gemeinschaft dem Menschen einen harmonischen Ausgleich zwischen
geistiger und Körperlicher Betätigung verschaffe.[xxi]
Was Böse für spätmittelalterliche Klostergemeinschaften
beschreibt, nämlich dass der „Herstellungsprozeß […]
den Alltag der Schwestern in Stunden der Arbeit, des
Gebets und der Unterweisung [strukturierte und] das dem
Schreiben von Büchern vergleichbare Sticken und Wirken […] die
Themen vor[gab], mit denen sich die Nonnen über Monate hinweg
intensiv beschäftigen sollten“[xxii],
trifft sicherlich aus Sicht der Visitatoren auch für das
Hochmittelalter, insbesondere seit den Reformen des 11.
Jahrhunderts, zu.
|
|
|
Die als
Stickerinnen und Auftraggeberinnen bekannten Frauen des frühen
Mittelalters stammen aus dem Adel, jedenfalls in Deutschland.
Das gilt auch für die stickenden Nonnen, da Nonnenklöster in der
Regel nicht nur aus religiösen Gründen gegründet wurden, sondern
wesentlich auch, um unverheiratete Töchter des Adels zu
versorgen. Nicht jede Frau konnte im Mittelalter in ein Kloster
eintreten, sondern eine Person, die ins
Kloster eintreten wollte, musste eine Mitgift mitbringen,
die entweder aus einer nicht unerheblichen Geldsumme oder deren
Äquivalent in Land oder anderen Wertgegenständen bestand. Für
die niedersächsischen Klöster Heiningen und Dorstadt ergab sich
daraus z.B., dass die Stiftsdamen sich „zunächst exklusiv aus
adligen und ministerialischen Familien, seit dem 14. Jahrhundert
dann primär aus dem Braunschweiger Bürgertum, in
protestantischer Zeit aus Adels- und Beamtenfamilien des
Wolfenbütteler Umlandes und nach 1643 aus der katholischen
Beamtenschaft des Hildesheimer Bistums“[xxiii]
rekrutierten.
|
|
|
Vieles spricht
dafür, dass generell die adligen Damen sich nicht nur im frühen
Mittelalter, sondern auch darüber hinaus, mit Stickereien
beschäftigten. Bumke führt aus, dass die Inhalte und Ziele, die
Vinzenz von Beauvais in seiner zwischen 1247 und 1249
entstandenen Schrift „De eruditione filiorum nobilium“ darlegt,
im Mittelalter Leitlinien für die Erziehung adliger Mädchen
gewesen seien. So sollten Mädchen ständig beschäftigt werden;
jeder Müßiggang musste vermieden werden, damit sie keine Zeit
hatten, auf sündige Gedanken kommen konnten. Neben Lesen,
Schreiben, Latein, moralischer Unterweisung und dem Erlernen von
Anstands- und Benimmregeln[xxiv]
„sollten [sie] spinnen und weben, nähen und sticken lernen, und
viele werden einen großen Teil ihres Lebens mit solchen
Tätigkeiten zugebracht haben, auch wenn sie nicht von der Arbeit
ihrer Hände leben mußten“[xxv].
Von den genannten Handarbeiten
ist vor allem das Sticken eine nicht notwendige Tätigkeit – das
Spinnen, Weben und Nähen musste auch im Rahmen der bäuerlichen
Eigenwirtschaft ausgeübt werden -, die Freizeit erforderte. Von
daher ist es einleuchtend, wenn Bergemann sagt, „das Sticken
[habe sich] zum Statussymbol in der mittelalterlichen
Gesellschaft“[xxvi]
entwickelt.
|
|
|
Vermutlich
stickten die adligen Damen neben Textilien, die einer Kirche
geschenkt wurden, für die Bedürfnisse des eigenen Haushalts. Das
dürften Wandbehänge gewesen sein, die die Kälte der unbeheizten
Räume linderten, wie auch Bettvorhänge, Kissen und ähnliches.[xxvii]
Vermutlich ist auch Kleidung bestickt worden, da Kleidung „eine
weit größere Bedeutung für die äußerlichen Zeichen von Reichtum,
Macht und gesellschaftlicher Stellung“[xxviii]
besaß. Der einzelne Mensch musste gemäß der das mittelalterliche
Weltbild prägenden ordo-Lehre einem der drei Stände, denen
jeweils spezifische Aufgaben oblagen, zugeordnet werden können.
So beschreibt Hartmann von Aue im um 1200 entstandenen Versroman
„Iwein“ den Identitätsverlust Iweins, als er sich die Kleider
vom Leib reißt und im Wald lebt wie ein Wilder. Erst als er
wieder eine standesgemäße Kleidung anlegt, gewinnt er die
Sicherheit über seine
Identität zurück und kann sich wieder in der höfischen
Welt bewegen. Die Kleidung steht hier nicht nur für die soziale
Zuordnung des einzelnen Menschen, sondern auch für die Gesinnung
und die Werte der Person, die sie trägt[xxix].
Für andere ist die Kleidung ein
„zuverlässiger Indikator im komplexen Zeichensystem sozialer wie
moralischer Ordnung“[xxx].
Das traf insbesondere zu, wenn es sich um Gold- und
Seidenstickereien handelte, die wegen der Kostbarkeit der
Materialien sakralen Gewändern und Gewändern des Adels
vorbehalten waren. Die Bedeutung der Identifikation des sozialen
Standes durch die Kleidung wird im späten 13. und frühen 14.
Jahrhundert deutlich, als die Städtegründungswelle zu einem
zahlenmäßigen Anstieg des städtischen Bürgertums führte, das
immer vermögender wurde. Der Adel versuchte seine soziale
Stellung gegenüber dem aufstrebenden Bürgertum durch
Kleiderordnungen zu verteidigen, die u.a. Goldstickereien,
teilweise auch Seidenstickereien, dem Adel vorbehielten.[xxxi]
|
|
|
Hatten sich für
das Frühmittelalter tatsächlich nur Stickerinnen finden lassen,
so „ist überliefert, dass sich vom 11. Jahrhundert an
Benediktinermönche im Süden des Reiches in St. Gallen – dort als
„acupictores“ bezeichnet – in St. Emmeram in Regensburg, St.
Ulrich und Afra in Augsburg und in der Abtei Weingarten nicht
nur der Miniaturmalerei, sondern ebenso der Wirkerei und
Stickerei widmeten“[xxxii].
Spätestens ab dieser Zeit ist
also das Sticken nicht mehr ausschließlich Frauentätigkeit,
sondern scheint in Frauen- und Männerklöstern gleichermaßen
betrieben worden zu sein.
|
|
|
Im weiteren
Verlauf der Zeit scheint sich die Stickerei immer mehr
spezialisiert und professionalisiert zu haben, wobei sich der
eigentliche Wandel zwar seit dem 11. Jahrhundert langsam
angebahnt, dann aber im 13. Jahrhundert beschleunigt. So nimmt
seit dem 13. Jahrhundert die Erwähnung der Herstellung von
luxuriösen Stickereien durch adlige Frauen in den Quellen
deutlich ab[xxxiii].
Diese Entwicklung mag durch verschiedene Faktoren bedingt worden
sein: Die Ausdehnung des Handels seit den Kreuzzügen und die
Städtegründungswelle des 13. Jahrhunderts bedingten und
förderten sich gegenseitig, wobei die mittelalterliche
Agrarrevolution mit dem Übergang zur Dreifelderwirtschaft,
Verwendung des schollenwendenden Pflugs, Verbesserung der
Anspannmethoden von Zugtieren, Verbreitung von Windmühlen u.v.m.
die Voraussetzungen schufen, um eine wachsende städtische
Bevölkerung ernähren zu können. Die ursprünglich als
Kaufmannssiedlungen entstandenen Städte erforderten immer mehr
Handwerker, die Produkte hoher Qualität zuverlässig und
pünktlich herstellten, um den Bedarf sowohl der städtischen
Bevölkerung (und zunehmend auch wohlhabender Bauern) als auch
den Bedarf für den Handel zu stillen. So ist es nur
folgerichtig, dass sich im 13./14. Jahrhunderts Stickwerkstätten
etablierten, in denen sowohl Frauen als auch Männer
arbeitsteilig arbeiteten.[xxxiv]
Die generell sehr fortschrittlichen Normannenkönige unterhielten
in Palermo eine Stickwerkstatt, in der u.a. 1133/34 arabische
Sticker den Krönungsmantel der deutschen Kaiser anfertigten.[xxxv]
In England arbeiteten 1330 in einer Stickwerkstatt 70 männliche
und 42 weibliche Sticker an Aufträgen für das Königshaus[xxxvi],
und „anhand einer Untersuchung in London konnte nachgewiesen
werden, dass der weitaus größte Teil der mittelalterlichen
Kirchenstickereien in zünftisch organisierten Werkstätten
ausgeführt und nicht, wie auch in Fachkreisen lange angenommen,
in Klöstern hergestellt wurde“[xxxvii].
|
|
|
Die
professionellen Stickerinnen und Sticker in den Städten
schlossen sich, wenn möglich, in Zünften zusammen, um
gegenseitige Fürsorge auszuüben, die Ausbildung zu regeln und um
die Qualitätsanforderungen, Mengen der Produktion und die Preise
festzulegen und zu überwachen. Im Hochmittelalter „nahmen
Frauen[…] eine
erstaunlich gleichberechtigte Stellung ein. […] Ausdrücklich
hatten beide Geschlechter gleiche Rechte, die gleichen
Ausbildungsbedingungen und die gleichen Meisterstücke zu
bewältigen.“[xxxviii].
So erhielten die Stickerinnen und Sticker in Paris bereits 1292
Zunftstatuten, „eine Steuerliste von 1292 [führte] vierzehn
Stickmeister- und –meisterinnen auf, die ihre Abgaben geleistet
haben. Drei Jahre später wenden sich alle im Stickereigewerbe
tätigen Personen – Meister, Meisterinnen und Arbeiter beiderlei
Geschlechts – in einer Petition an den Provost [d.h.
Bürgermeister, Anm. der Verf.]von Paris, um sich die
niedergeschriebenen Statuten zur Regelung des Gewerbes
bestätigen zu lassen. Von den 93 genannten Personen war nur ein
Dutzend männlich. Ausgehend von den Gebräuchen anderer
Handwerksarten ist davon auszugehen, dass Männer die
Auftragseinwerbung und den Verkauf der fertigen Produkte
innehatten, während die Ausbildung & Produktion in den Händen
von Frauen lag. […]Im Jahr 1316 umfasste die Vereinigung der
Sticker in Paris 179 Personen“[xxxix].
Zünfte der Stickerinnen und
Sticker gab es auch schon 1296 in Brügge und 1314 in Gent, was
weiter nicht verwunderlich ist, da zu dieser Zeit Flandern ein
Zentrum der Textilherstellung und des Handels mit Textilien war.
|
|
|
In Köln wird die
erste Zunfturkunde für Wappensticker 1397 ausgestellt. Zuvor gab
es jedoch Stickerinnen, deren Arbeiten vermutlich eine besondere
Qualität aufwiesen, so dass sie in Quellen namentlich genannt
wurden. Es handelt sich um
- die
Wappenstickerin Luthe, die Frau des Wappenstickers Johannes
de Santen (1340)
- Bela, factrix
Stolarum (1343)
- Guytginis,
factrix casularum (1346)
- Guda,
mitrifex (1350)
- Drude de
Wuppervurde, operatrix casularum (1356)
- Stina de
Wupervurde, Stolenstickerin (1384)[xl]
Als männliche
Sticker vor 1397 sind überliefert
- Johann von
Santin, Wappensticker (1344)
- Emerich,
Wappensticker (1368)
- Tilman,
Wambesticker [Westen-/Jackenbesticker,
Anm. der Verf.](1378)[xli].
|
|
|
Diese
Überlieferungen machen deutlich, dass bereits im 14. Jahrhundert
eine erhebliche Arbeitsteilung innerhalb der Handwerker, die
Stickereien herstellten, existierte. Zudem wurden offensichtlich
außer Wappen sehr viele Stickereien für sakrale Textilien
hergestellt, wobei zu beachten ist, dass „unter mitra […] damals
auch eine Frauenhaube verstanden“[xlii]
wird. „Die
Wappensticker beschäftigten sich keineswegs ausschließlich mit
der Wappenstickerei, d. h. dem Sticken der ritterlichen
Wappenröcke und Pferdedecken, auch nicht nur mit der
Kunststickerei, insbesondere Paramenten- stickerei, sondern sie
verzierten wohl überhaupt alle besseren Kleidungsstücke mit
Stickerei“[xliii].
Alle diese Stickereien wurden als Seidenstickereien ausgeführt.
In den Kölner Zünften waren Frauen und Männer gleichberechtigt;
die Zunfturkunden sprechen von Meistern und Meisterinnen[xliv].
Die extreme Spezialisierung der Stickerinnen und Sticker in Köln
mag aus der Lage der Stadt resultieren. Köln war eine der
größten Städte der damaligen Zeit, es nahm als Hansestadt eine
sehr wesentliche Rolle für den Handel mit England ein, besaß
Stapelrechte und lag am Schnittpunkt von wichtigen Nord-Süd-
bzw. Ost-West-Verbindungen. Von daher gab es in der Stadt selbst
genügend Wohlstand, um Stickereien anfertigen zu lassen, aber
auch hinreichend Handelsbeziehungen, um Stickereien für den
Handel in Auftrag zu geben.
|
Im 14. und 15.
Jahrhundert gab es in mehreren deutschen Städten Stickerinnen
und Sticker, die jedoch nicht immer eine eigene Zunft bildeten,
sondern mit anderen Gewerben in einer Zunft zusammengeschlossen
waren. Das war im Mittelalter durchaus üblich, da eine gewisse
Mitgliederzahl
erforderlich war, um die Aufgaben einer Zunft wahrnehmen zu
können, insbesondere im Hinblick auf die Unterstützung von
Hinterbliebenen verstorbener Meisterinnen und Meister und die
Aufgabe der Hilfe für kranke Zunftmitglieder. So wurde in
Frankfurt 1377 eine Zunft der Schneider, Gewandsticker und
Gewandscherer zugelassen, 1395 finden sich Sticker in der
Schneiderzunft, ebenso 1424 in Hildesheim und um 1494 in
Nürnberg.[xlv]
In diesen Städten erscheinen jedoch weibliche Stickerinnen nicht
so gleichberechtigt wie in Köln. So werden in der Frankfurter
Zunfturkunde von 1377 die Zugangsbedingungen von Frauen und
Männern getrennt aufgeführt. Frauen und Kinder, die das
Bürgerrecht besaßen, durften auch das Stickereihandwerk ausüben.
Ob sie allerdings Meister mit einer eigenen Werkstatt sein
dürften, ist nicht klar. Wohl aber durften Witwen von Meistern
die Werkstatt weiterführen.[xlvi]
|
|
|

Frauen beim Durchstechen bzw. Durchpausen von
Stickvorlagen. Holzschnitt aus
Alessandro Paganino, Libro de ricami, um 1532
|

Bezalel und Oholiab arbeiten an Stickereien
für den Tempel. Szene aus dem Buch Exodus aus einer im Stil Giottos
erstellten Bilderbibel, Padua um 1400 |
|
|
Für England ist
belegt, dass die für den Haushalt Edwards III. (*1312 +1377)
erworbenen Textilien einschließlich der Stickereien
gleichermaßen durch Frauen und Männer hergestellt wurden, auch
wenn schriftliche Quellen nahelegen, dass im 13. und 14.
Jahrhundert
Stickereien überwiegend von Frauen hergestellt wurden.[xlvii]
So erhält Mabel von Bury St. Edmunds zwischen 1239 und 1244
mehrfach Aufträge vom königlichen Hof und bleibt dem König Henry
III. so gut in Erinnerung, dass er ihr Jahre später ein Geschenk
macht.[xlviii]
Ebenso arbeiteten Maud de Benetleye sowie Joan de Wobum für den
Hof; Maud of Canterbury arbeitete für die Halbschwester des
Königs, Alice de Lusignan. In den Aufzeichnungen
der Finanzverwaltung des englischen Königshofes wird eine
Christiana de Enfield mehrfach genannt. Sie erhielt im Jahr 1303
den Auftrag, in Vorbereitung einer Frankreichreise der
englischen Königin Margarethe mit ihrer Werkstatt seidene
Kissen, Bettbezüge, Baldachine und Vorhänge mit 2800 Lilien und
Leoparden (=Heraldischen Löwen), den Emblemen der Königreiche
England und Frankreich, zu besticken. Gemeinsam mit Catherine of
Lincoln führte sie den Auftrag aus.[xlix]
Johanna Heyroun fertigte in den Jahren 1327-28 Messgewänder für
die königliche Kapelle an, und Matilda la Settere arbeitete in
der hofeigenen Stickereiwerkstatt des Königs.[l]
|
|
|
Belegt sind auch
männliche Sticker. 1307 bezeugt der
Bürgermeister von London die Zahlung einer Teilsumme an
den Sticker Alexandre le Settre, 1308 John Bonde und John de
Stebenheth dem Bürgermeister einen für den Bischof von Worcester
gedachten bestickten Umhang, während der Bürgermeister
zusichert, die Arbeitsleistung in „certain installments one
fourth being the share of Margery, wife of John Stebenheth, and
a fourth to Katherine daughter of Simon Godard of full age, and
remainder to John Bonde to the use of Thomas and Simon, children
of Simon Godard“[li]
zu zahlen. 1325 ist ein Teil der geschuldeten Summe immer noch
nicht bezahlt.[lii]
Aus diesen Angaben wird deutlich, dass in London Stickereien in
Werkstätten hergestellt wurden und mehrere Personen an einem
einzelnen Stück arbeiteten, wenn die Stickerei sehr umfangreich
war.[liii]
Eine Stickereizunft wurde aber erst 1561 gegründet und
anerkannt.[liv]
|
|
|
Die Stickerinnen
und Sticker des Hoch- und Spätmittelalters waren nicht unbedingt
auch die Designer der gestickten Werke. Vielmehr stammte das
Design häufig von Malern, die die Vorzeichnung auf den Stoff
aufbrachten und die Ausführung der Stickerei überwachten[lv].
Der Kölner Zunftmeister von 1470, Johann von Bornheim, lebte
zeitweise mit Stephan Lochner im gleichen Hause, so dass
angenommen werden kann, dass Lochner Entwürfe für seinen Freund
Bornheim anfertigte. Von Albrecht Dürer (1471-1528) ist bekannt,
dass er Stickereien entwarf.[lvi]
Die Entwurfszeichnungen wurden
entweder direkt auf den Stickgrund aufgebracht oder durch das
sogenannte Lochpausverfahren auf den Stickgrund übertragen.[lvii]
Bei dem letzteren Verfahren legte man die Zeichnung auf den
Stickgrund und stach an den Linien der Zeichnung mit der Nadel
Löcher ein. Anschließend wurde das Papier mit Farbpulver
bestreut, so dass auf dem Stickgrund die Punkte sichtbar wurden,
die – zu Linien verbunden – die Umrisse der zu bestickenden
Formen bildeten. Vorzeichnungen scheint es bereits für oben
erwähnten Antipendien und anderen Weißstickereien gegeben zu
haben.[lviii]
|
|
|
Offenbar
übernahmen Stickerinnen und Sticker auch Vorlagen von Künstlern.
Deren Zeichnungen waren vermutlich zunächst für Maler, Glasmaler
und Miniaturmaler gedacht[lix],
konnten aber sicherlich auch als Vorlagen zum Aussticken benutzt
werden. Eines der erhaltenen Modellbücher ist das Pepysian model
book, das in der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts entstanden ist.[lx]
Notizen, Namen und Anmerkungen,
die in das Buch geschrieben wurden, zeugen davon, dass das
erhaltene Exemplar von verschiedenen Personen benutzt und immer
weitergegeben wurde.[lxi]
|
|
|
Zusammenfassend
lässt sich feststellen, dass im Mittelalter Frauen und Männer
stickten. Soweit gewerbsmäßig gestickt wurde, finden sich
weibliche und männliche professionelle Sticker, die in Zünften
organisiert waren und dort – bis auf das nicht vorhandene
passive und aktive Wahlrecht in den Rat der jeweiligen Stadt -
gleichberechtigt tätig waren. Wurde nicht gewerbsmäßig gestickt,
sind die Ausführenden ganz überwiegend adlige Frauen und
(adlige) Nonnen, deren Lebensumstände die für die Herstellung
von Stickereien erforderliche Zeit zur Verfügung stellten.
Vermutlich trug die Tatsache, dass die für den kirchlichen
Gebrauch bestickten Textilien aus den oben genannten Gründen
sorgfältiger aufbewahrt wurden und daher eine größere Funddichte
aufweisen, unter anderen Faktoren, auf die im Weiteren noch
eingegangen werden wird, dazu bei, dass bis weit ins 20.
Jahrhundert hinein die Meinung vertreten wurde, das Sticken sei
grundsätzlich eine Frauensache.
|
|
|
[i] Uta-Christiane
Bergemann,a.a.O., S. 44
[ii] Ruth Grönwoldt,
Stickereien von der Vorzeit bis zur Gegenwart aus dem Besitz des
Württembergischen Landesmuseums Stuttgart und der Schlösser
Ludwigsburg, Solitude und Monrepos, München 1993, S. 12
[iii] Katrin Kania,
Alltagskleid und Alltagstrott – Textilien als Schlüssel zur
Rekonstruktion von Lebenswelten.- In:
Die Rekonstruktion mittelalterlicher Lebenswelten. Ein
Kolloquium zum 60. Geburtstag von Ingolf Ericsson, Bamberger
Kolloquien zur Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit,
herausgegeben von Ingolf Ericsson, Band 2 (2015), S. 95
[iv] Valentina S.
Grub, A Needle’s Breadth Apart: The Unexplored Relationship
Between Medieval Manuscript Illumination and Embroidery, o.O.,
o.J., S. 1
[v] Vgl. Alexandra
Gajewskia and Stefanie Seeberg, Having her hand in it? Elite
women as ‘makers’ of textile art in the Middle Ages.- In:
Journal of Medieval History, 2016 VOL. 42, NO. 1, S. 28
[vii] Ingrid
Heidrich, Wandbehänge und Decken des Frühmittelalters
(9.-11.Jahrhundert).- In: Gerd Althoff, Hagen Keller, Christel
Meier (Hrsg.), Frühmittelalterliche Studien. Jahrbuch des
Instituts für Frühmittelalterforschung der Universität Münster
40 (2006), S. 109
[viii] S. Kapitel
über Stickerei im Frühmittelalter
[ix] S. Kapitel über
Stickerei im Frühmittealter
[x] Stradal/Brommer,
a.a.O., S 12, s. auch die sehr umfangreiche Darstellung mit
Namen von Stickerinnen bei Kay Staniland, Embroiderers, British
Museum Press, 2. Aufl. 1993, S. 7 ff.
[xii] Vgl. Stickerei
im Hoch- und Spätmittelalter
[xiii]
Stradal/Brommer, a.a.O., S. 13
[xiv]
Gajewskia/Seeberg, a.a.O., S. 46 f.
[xvi] Stefanie
Seeberg, Women as Markers, a.a.O., S. 357
[xvii] Stefanie
Seeberg, Textile Bildwerke im Kirchenraum. Leinenstickereien im
Kontext mittelalterlicher Raumausstattungen aus dem
Prämonstratenserinnen Kloster Oltenberg/Lahn. (Altenberg),
Petersberg 2014
[xix] Sticker und
Stickerinnen.- In: Freiburger Geschichtsblätter 67 (1990), S. 72
[xx] Stefanie
Seeberg, Women as Makers, a.a.O., S. 385
[xxi] Sticker und
Stickerinnen.- In: Freiburger Geschichtsblätter 67 (1990), S. 72
[xxii] Kristin Böse,
Der Magdalenenteppich des Erfurter Weißfrauenklosters im Spiegel
des spätmittelalterlichen Reformgedankens. Bildinhalt und
Herstellungsprozeß.- In: Gabriela Signori (Hrsg.), Lesen,
Schreiben, Sticken und Erinnern: Beiträge zur Kultur- und
Sozialgeschichte mittelalterlicher Frauenklöster, Bielefeld,
Gütersloh 2000, S. 53
[xxiii] Martina
Giese, Dorstadt und Heiningen. Historische Frauenorte im Bistum
Hildesheim.- In: Claudia Höhl (Hrsg.), Frauenwelten. Die Klöster
Heiningen und Dorstadt, Dommuseum Hildesheim, o.J., S. 31
[xxiv] Vgl. Joachim
Bumke, Höfische Kultur. Literatur und Gesellschaft im hohen
Mittelalter, Bd. 2, 6. Aufl. München 1992, S. 470-483
[xxv] Bumke, a.a.O.,
S. 473
[xxvi]
Ute-Christiane Bergemann, a.a.O., S. 44
[xxvii] Vgl.
Margaret Wade Labarge, Stitches in Time: Medieval Embroidery in
its Social Setting.- In: Florilegium 16 ( 1999), S. 79
[xxviii]
Uta-Christiane Bergemann, a.a.O., S. 21
[xxix] Nora
Grundtner, Als er bedacte die swarzen lîch, dô wart er einem
rîter gelîch. Ein Erzählen mit und über Kleidung in Hartmanns
von Aue Iwein, Mai 2021
https://memo.imareal.sbg.ac.at/wsarticle/memo/2021-grundtner-erzaehlen-kleidung/
[abgerufen am 3.5.2023]
[xxx] Jan Keupp, Die
Wahl des Gewandes. Mode, Macht und Möglichkeitssinn in
Gesellschaft und Politik des Mittelalters.- Ostfildern 2014
(=Bernd Schneidmüller, Stefan Weinfurter (Hrsg.)
Mittelalter-Forschungen. Band 33, S. 41
[xxxii] Ruth
Grönwoldt, a.a.O., S. 9
[xxxiii] Alexandra
Gajewskia and Stefanie Seeberg, Having her hand in it? Elite
women as ‘makers’ of textile art in the Middle Ages.- In:
Journal of Medieval History, 2016 VOL. 42, NO. 1, S. 47
[xxxiv] M. A.
Michael, a.a.O., S. 31
[xxxv] Vgl. Ruth
Grönwoldt, a.a.O., S. 9
[xxxvii] Eva
Heimgärtner, Die barocken Wandbehänge der Freiburger Ursulinen.-
In: Freiburger Geschichtsblätter 67 (1990), S. 68
[xxxviii]
Uta-Christiane Bergemann, a.a.O., S. 58
[xlv] Vgl. Hans
Koch, a.a.O., S. 29
[xlvi]
Uta-Christiane Bergemann, a.a.O., S. 59
[xlvii] M. A.
Michael, Creating Cultural Identity: Opus anglicanum and its
Place in the History of English Medieval Art, Journal of the
British Archaeological Association, 170:1, 2017, S. 31
[xlviii] Margaret
Wade Labarge, Stitches in Time: Medieval Embroidery in its
Social Setting.- In: Florilegium 16 ( 1999), S.
[xlix] Thomas Ertl:
Die Gier der Päpste nach englischen Stickereien. Zu Bedeutung
und Verbreitung von Opus Anglicanum im späten Mittelalter, in:
Uta-Christiane Bergemann, Annemarie Stauffer (Hrsg.),Reiche
Bilder - Aspekte zur Produktion und Funktion von Stickereien im
Spätmittelalter, Verlag Schnell & Steiner, 2010, S. 57
[l] Kay Staniland,
a.a.O., S. 31
[li] Dana Zeilinger,
Golden Threads & Silken Gardens. 14th Century English Medieval
Embroidery {Opus Anglicanum), London 2001, S. 5
[liii] Vgl. Dana
Zeilinger, a.a.O., S. 6, wo die Autorin von einem 1271 der
Westminster Abbey gestifteten Antependium berichtet, an dem vier
Frauen vier Jahre lang gearbeitet haben.
[lv] Vgl. Eva
Heimgärtner, a.a.O., S. 68
[lvi] Vgl.
Stradal/Brommer, a.a.O., S. 55 f.
[lvii] Vgl.
Uta-Christiane Bergemann, a.a.O., S. 64
[lviii] Vgl. August
Fink, Das weisse Antependium aus Kloster Heiningen.- In:
Jahrbuch der Berliner Museen, 1. Bd. (1959), S. 178
[lix] Vgl. Janet
Backhouse, An Illuminator´s Sketchbook.- In: The British Library
Journal 1 (1975) S. 3
[lx] Vgl. Dana
Zeilinger, a.a.O., S. 10
[lxi] Vgl.
Backhouse, a.a.O., S. 3
|